- Romantik der Musik
- Romantik der MusikIst es ein Wesensmerkmal der Musik, romantisch zu sein? Glaubt man Werbespots und Schlagertexten, so ist dies keine Frage: Immer wenn es romantisch wird, darf die Musik nicht fehlen. Auch unsere Alltagssprache vermittelt solche Klischees. Abgegriffen und banal, enthalten sie einen Wahrheitsrest, der auf ein ernst zu nehmendes Phänomen verweist. Allerdings kann man »die Musik« als eine in sich geschlossene Kunstform und »das Romantische«, das insgesamt ein schwer fassbares Feld komplexer Vorstellungen darstellt, so allgemein und beziehungslos einander nicht zuordnen. Erst im historischen Kontext, auf dem Hintergrund geistesgeschichtlicher Entwicklungen des 19. Jahrhunderts, wird die Frage nach dem romantischen Wesensmerkmal der Musik sinnvoll. Ihre Erörterung öffnet nicht nur den Blick für Aspekte der Kunstbetrachtung in dieser Zeit, sondern auch für den Stellenwert, den die Musik in der europäischen Kultur erhalten hat, und für bestimmte Elemente der musikalischen Rezeption, die noch heute wirksam sind.Die bemerkenswerte Symbiose von Musik und Romantik beginnt in der deutschen Dichtung um 1800. In den »Fantasien über die Kunst für Freunde der Kunst« (1799) von Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck wird die Musik mit enthusiastischen romantischen Vokabeln umschrieben. Für den Dichter-Musiker E. T. A. Hoffmann ist sie in seiner wegweisenden Beethoven-Rezension von 1810 sogar »die romantischste aller Künste,- fast möchte man sagen, allein rein romantisch.« Und er erläutert dies mit ihrer transzendierenden Wirkung: »Die Musik schließt dem Menschen ein unbekanntes Reich auf; eine Welt, die nichts gemein hat mit der äußern Sinnenwelt, die ihn umgibt, und in der er alle durch Begriffe bestimmbaren Gefühle zurücklässt, um sich dem unaussprechlichen hinzugeben.« Was keine Sprache vermittelt, weil es jenseits der Worte liegt, vergegenwärtigt die Musik durch »jene unendliche Sehnsucht, die das Wesen der Romantik ist«.Dieses ästhetische Konzept zieht den komplexen Begriff der Romantik fast formelhaft zu einer einzigen Grundbedeutung zusammen. Zwar ist davon auszugehen, dass Hoffmann die vielfältigen kulturellen Aspekte des Romantikbegriffs bewusst waren. Indem er ihn aber auf die Musik anwendet, reduziert er ihn weitgehend auf die Erfahrung eines unbekannten Reichs durch das Gefühl der Sehnsucht nach dem »Unendlichen« und gibt ihm eine Bedeutungsrichtung, die das Musikverständnis der Folgezeit maßgeblich geprägt hat.Hoffmann war zudem der einzige, der das romantische Vokabular mit Werken verband, die tatsächlich existierten, und auch dies eigentlich nur in seinen Beethoven-Rezensionen. In den Novellen und Romanen ist der Bezug ebenso allgemein wie bei anderen Romantikern. Nicht das einzelne Komponierte, sondern die Musik als Kunst überhaupt begeisterte sie durch ihre unbegriffliche, universale Sprachfähigkeit. Die ihr eigene Tendenz zum Irrationalen, die im 18. Jahrhundert eher als Mangel empfunden wurde, verleiht ihr nun die Aura eines offenbarenden Mediums. Als Botschaft des sonst Unvernehmbaren erhält sie eine Sonderstellung unter allen Künsten.Die Bedeutung der Wiener klassischen Instrumentalmusik hat hierzu sicherlich beigetragen. Dennoch ist es erstaunlich, dass die frühromantischen Äußerungen im Wesentlichen auf der Kenntnis der Werke Haydns und Mozarts beruhen. Vor allem die frühen hymnischen Schilderungen Wackenroders und Tiecks verweisen auf Klänge, die real noch gar nicht vorhanden waren. Die Musik, die die romantischen Schriftsteller schwärmerisch preisen, ist also eigentlich eine Utopie. In diesem Sinne lassen sich die Worte Friedrich Schlegels in einem seiner Athenäums-Fragmente von 1798 ohne Einschränkung auch auf sie übertragen: »Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. .. Die romantische Dichtart ist noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, dass sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann.«Zwei Jahrzehnte liegen zwischen der literarischen Konzeption einer romantischen Musik und der musikalischen Epoche, in der sie tatsächlich in Erscheinung tritt. Deutliche Ansätze dazu finden sich in den Kompositionen von Franz Schubert und Carl Maria von Weber. Noch später, nach 1830, beginnt das Schaffen Robert Schumanns, dessen Werke erstmals durchgängig von den Ideen der romantischen Dichtung und Ästhetik geprägt sind. Ihr Einfluss bleibt in der deutschen Musik - und teilweise darüber hinaus - bis zu Gustav Mahler, Max Reger, Richard Strauss und Hans Pfitzner durch das ganze 19. Jahrhundert hindurch spürbar.Es ist allerdings nicht einfach, die Mittel detailliert zu benennen, die das Romantische musikalisch realisieren. Allgemeine Merkmale wie Klang, Instrumentation, harmonische, rhythmische und formale Anlage, Melodiegestaltung, Dynamik und Agogik können zwar romantische Züge tragen. Will man aber anhand einzelner Beispiele romantische Dichtung und Musik unmittelbar aufeinander beziehen, gerät man in Schwierigkeiten. Wackenroders Aufsatz über »Das eigentümlich innere Wesen der Tonkunst und die Seelenlehre der heutigen Instrumentalmusik« (1799) mag dies belegen: »Und wo sind die Grenzen und Sprünge schärfer, wo schlagen die Wellen höher als in der Tonkunst? Aber in diesen Wellen strömt recht eigentlich nur das reine, formlose Wesen, der Gang und die Farbe und auch vornehmlich der tausendfältige Übergang der Empfindungen.«Ein musikalisches Werk zu nennen, das sich der Autor bei einem solchen Text vorgestellt haben mag, ist kaum möglich. Musikalische Assoziationen stellen sich ein, bleiben aber vollkommen unbestimmt. In Musikstücken verschiedenster Art kommen Stellen vor, die etwas von dem enthalten, was Wackenroder meint. Keines jedoch wird insgesamt eine überzeugende Übersetzung dieser Worte in Klänge bilden.Umgekehrt betrachte man irgendeine Komposition, mit der man etwas »Romantisches« verbindet, ein Klavierstück von Schumann, einen Sinfoniesatz von Schubert oder eine Ouvertüre von Mendelssohn mit einem romantischen Text über das Wesen der Musik. Der Klangeindruck als konkrete musikalische Gestalt mit individueller Bedeutung wird immer ein ganz bestimmter bleiben. »Die Musik« aber, von der die Dichter sprechen, repräsentiert das einzelne Werk in der Regel nicht, auch wenn es an ihr teilhat. Das »Überirdische« und »Unendliche«, das die Literatur der Musik vielfach zuweist, kann es nur sehr unbestimmt reflektieren. Ebenso lassen sich zu romantischen Vokabeln wie »Ahnung« und »Sehnsucht«, »Heimat« und »Ferne«, »Glaube« und »Liebe«, »Traum« und »Geheimnis«, »Nacht« und »Tod« keine direkten musikalischen Entsprechungen finden, es sei denn, sie werden wie in Vokalwerken durch den Text vermittelt.Man wird sich also damit begnügen müssen, allgemeinen Analogien zwischen der romantischen Ästhetik und der Musik des 19. Jahrhunderts nachzuspüren. Der Gedanke etwa, die Musik sei die »Sprache des Unendlichen«, spiegelt sich im Anspruch der Komponisten an ihr Schaffen wider und in der Vorstellung einer unerklärbaren, höheren Inspiration. Die Ausweitung der musikalischen Sphäre über diesseitige Begrenzungen führt zur Autonomie einer als »absolut« verstandenen Musik. Neue Formen und Inhalte erweitern ihre technischen und expressiven Möglichkeiten und lösen sie von traditionellen Ordnungen, wie sie bis zum Spätbarock, namentlich im deutsch-protestantischen Raum, bestanden. Wo ältere Vorstellungen aufgegriffen werden: die antike Idee der »Weltenharmonie«, das Wunder der Zahlenproportionen in den Akkorden oder Wackenroders Umschreibung der Musik als »Land des Glaubens«, sind sie nur Teilmomente eines modernen, subjektiven Interpretationsansatzes. Der Säkularisierung des Musikalischen stehen sie kaum entgegen. Auch birgt das Postulat der Freiheit, wie überall, die Möglichkeit der Beliebigkeit und Willkür. Im Widerspruch zur ursprünglichen romantischen Intention kann Heiliges und Weihevolles daher leicht ins Weltliche und Populäre umschlagen.Ein anderer Widerspruch innerhalb der romantischen Musikästhetik besteht zwischen der Betonung des Absoluten und Autarken, der Befreiung der Kompositionen von äußeren Anregungen, und der Forderung nach dem »Poetischen«, das in der Folge zur inhaltlich orientierten Programmmusik führte. Poetisches findet sich in lyrischer Klaviermusik, im Charakterstück, in Bezügen und Anspielungen innerhalb mehrteiliger Werke, so vor allem in Schumanns Klavierzyklen, ferner als »poetische Idee« in den sinfonischen Dichtungen Liszts und natürlich im Kunstlied und in der romantischen Oper. Poetisches, das eigentlich Unwägbare, atmosphärisch Allgemeine, tendiert dabei in der Musik nicht selten zu assoziativ beschreibenden Klangbildern und manchmal sogar zur musikalischen Nachahmung realer Vorgänge.Ein zentral romantischer Gedanke ist ferner die Idee der Grenzüberschreitung zwischen den Künsten, die dem Lied, dem Musikdrama und den programmatischen Instrumentalgattungen bedeutsame neue Inhalte zugeführt hat. Romantisch schließlich in einem weiten Sinne ist alles Aufbrechen des streng Geordneten und Gefügten, das Schwanken zwischen Gegensätzen und das Spiel mit auseinander strebenden Kräften. Spannungen und Gegensätze dieser Art bestehen zwischen volkstümlich einfacher Akkordik und differenzierter Alterationsharmonik, zwischen liedhafter Anlage und freien Strukturen, zwischen gesanglicher Periodizität und prosaartiger oder fantastisch ausschweifender Melodik, zwischen biedermeierlich verträumtem Tönen und einer überwältigenden, überbordenden Klanggestik, zwischen der häuslichen Intimität von Genrestücken und riesigen Formenkonzeptionen, die am ehesten als Spiegelung einer romantischen Metaphysik der Tonkunst aufgefasst werden können.Auffällig ist der lange Zeitraum, innerhalb dessen die Kennzeichnung »romantische Musik« wenigstens teilweise berechtigt ist. Die Anwendung des Begriffs auf alle Kompositionen des 19. Jahrhunderts ist zwar nicht sinnvoll. Ein gewisser ästhetischer Anachronismus der Musik, ein Festhalten an romantischen Konzepten zu einer Zeit, als in anderen Künsten von Romantik nicht mehr die Rede sein konnte, ist jedoch unbestritten. So hat die literarische romantische Musikästhetik einer breiten Schicht von Hörern Vorstellungen vom Wert und Sinn des Musikalischen vermittelt, die beharrlich tradiert wurden, obwohl ihre Quellen längst zur Literaturgeschichte verblasst waren. Musikerbiographien, Werkbeschreibungen, Kritiken und Konzerteinführungen spiegeln diesen Einfluss. Dabei wurden oftmals einzelne Vokabeln und Wendungen aus dem vielschichtigen romantischen Kontext herausgegriffen und als Formeln zur musikalischen Charakterisierung benutzt. Selbst die Trivialmusik ist, indem sie sich vage mit einer Idee des »Romantischen« verbindet, noch eine Folge des literarischen Kunstenthusiasmus um 1800. Die Abneigung der Romantiker gegen Ratio und kühlen Sachverstand lässt den Fehlschluss zu, Musik komme ohne auf Regeln gegründete Kompositonstechnik aus. Wird ihr aber diese Basis entzogen, kann sie von der Würde und Höhe einer universalen Gefühlssprache rasch ins griffig Sentimentale abgleiten.Musik und Romantik scheinen also darauf angelegt zu sein, sich nicht nur anzuregen, sondern sich auch zu verbrauchen und aneinander abzuschleifen. Die Inhalte ihrer wundersamen Erstbegegnung in der frühromantischen Literatur sind in der Folge nicht selten vergröbert und verfälscht worden. Und die Werke, die sich dieser Begegnung gleichsam nur noch schemenhaft erinnern, verfallen ins Mittelmaß. Andererseits ist die produktive Wirkung dieser Symbiose ein geschichtliches Faktum. Den Impulsen der Romantik verdankt die europäische Musik eine Fülle wertvollster Kompositionen aller Gattungen sowie eine bis dahin unbekannte Nuancierung der Mittel und des Ausdrucks. Damit korrespondiert eine romantisch inspirierte Aneignung von Musik, ein Rezeptionsverhalten, das unsere Hörerwartungen und unser musikalisches Urteil bis heute prägt. Historische Reflexion kann hier relativierend eingreifen und für andere Hörweisen sensibel machen. Doch ist dies immer ein Prozess, der das spontane musikalische Bewusstsein von seiner romantischen Bindung erst allmählich lösen muss.Klassizistische Gegenpositionen gegen die romantische Musikauffassung hat das 19. Jahrhundert nur in Ansätzen entwickelt. In diesem Punkte besteht ein deutlicher Unterschied zwischen der Dichtung und der Musik. Während die literarische Romantik zeitgleich neben der Weimarer Klassik entstand und kunsttheoretische Diskussionen um das Wesen des »Klassischen« und des »Romantischen« zu ihrem Ursprung und Selbstverständnis gehörten, setzte in der Musik die Romantik im eigentlichen Sinne erst nach der Wiener Klassik ein. Ihr Eigenes und Neues entfaltete sich als etwas Späteres und nicht in Opposition und Spannung zu einem gleichzeitig Anderen. So wird auch verständlich, dass Beethoven von der musikalischen Romantik ausschließlich als verehrungswürdiges Vorbild angesehen wurde, während das Verhältnis der romantischen Dichter zu Goethe und Schiller, bei aller Bewunderung, eher als schwierig und ambivalent zu bezeichnen ist.Natürlich existiert eine Fülle von Musik im 19. Jahrhundert, die keine ausgeprägten romantischen Elemente enthält. Viele der italienischen und französischen Opern gehören dazu, die heitere Richtung der deutschen Oper, einiges aus den Bereichen der katholischen und protestantischen Kirchenmusik sowie der nationalen Musikströmungen, die zwar romantische Impulse aufnahmen, oft aber von ganz andersartigen politischen und ästhetischen Bedingungen ausgingen. In einem gewissen Gegensatz zu den introvertierten Musikvorstellungen der Frühromantik stehen die plastisch expressiven Instrumentalwerke Liszts und in noch stärkerem Maße die zeichnerisch durchgebildeten Tondichtungen von Strauss. Klassizistische und romantische Züge nebeneinander finden sich insbesondere in der Kammermusik und Sinfonik von Mendelssohn, Schumann und Brahms. Unter den musikästhetischen Entwürfen ist die Konzeption Eduard Hanslicks in seiner Schrift »Vom musikalisch Schönen« (1854) von besonderem Interesse. Man kann Hanslicks fundamentale These, »tönend bewegte Formen sind einzig und allein Inhalt und Gegenstand der Musik«, im Sinne eines klassizistischen ästhetischen Purismus verstehen. Man kann seinen hieraus abgeleiteten Begriff einer »absoluten Musik« aber auch als eine letzte, abstrakte Chiffre für die unbegriffliche Sprache eines wunderbaren Reiches auffassen, in welcher die Frühromantiker das Wesen der Musik zu erkennen glaubten.Erst das 20. Jahrhundert hat als Reaktion auf die Spätzeit und das Ende der vorangehenden Epoche der romantischen Haltung eine betont klassizistische Musikästhetik entgegengestellt, und zwar sowohl im Komponieren als auch im Nachdenken und Schreiben über Musik. In Frankreich wurde das »Romantische« nicht selten kritisch mit dem »Deutschen« assoziiert, von dem sich ein eigenwertiger französischer Klassizismus abzusetzen habe. Diese Sichtweise, die zwischen den beiden Weltkriegen in Paris in eine Phase neoklassizistischer Musik und Musikauffassung einmündete, tritt musikalisch besonders deutlich in den Werken Maurice Ravels, Igor Strawinskys und der Gruppe der »Six« hervor, theoretisch wurde sie formuliert in den Schriften von Jean Cocteau sowie in Strawinskys Vorlesungsreihe »Musikalische Poetik« (1939/40). Die Schärfe dieser antiromantischen Polemik lässt darauf schließen, dass ihre Urheber der Tradition, der sie entstammen, keinesfalls unbefangen gegenüberstanden, sondern sich in einem Akt künstlerischer Befreiung immer erneut davon lösen mussten. Noch im Gegenbild neoklassizistischer Kühle, Distanz und Objektivität manifestiert sich die zeitüberdauernde Kraft romantischer Aneignung des Musikalischen. Ihre Wirksamkeit lässt sich durch die verschiedenen Stilphasen des 20. Jahrhunderts hindurch weiter verfolgen - bis hin zur Musik der Gegenwart, die für romantische Stilelemente wieder überraschend empfänglich zu sein scheint. Offenbar sind, seitdem sich Romantik dem Musikalischen assimiliert hat, ihre Spuren aus den Tönen und Klängen kaum noch zu tilgen. Und wer immer sich mit Musik einlässt, wird ihre geheimnisvolle und widersprüchliche Beziehung zum Romantischen als einen ihr zugehörigen Wesenszug akzeptieren müssen.Prof. Dr. Peter SchnausDahlhaus, Carl: Die Musik des 19. Jahrhunderts. Sonderausgabe Laaber 1996.Geschichte der Musik, herausgegeben von Michael Raeburn und Alan Kendall. Band 2: Beethoven und das Zeitalter der Romantik. Band 3: Die Hochromantik. München u. a. 1993.Rummenhöller, Peter: Romantik in der Musik. Analysen, Portraits, Reflexionen. Kassel u. a. 1995.
Universal-Lexikon. 2012.